Allgemeines

Lehrende:r
Dr. Jessica Cronshagen

Veranstaltung
Forschungsseminar: Glauben und Forschen, Handeln und Herrschen. Die globale Mission der Herrnhuter im 18. Jahrhundert

Modul
Westeuropäische Geschichte der Frühen Neuzeit; Geschichte der Frühen Neuzeit, Westeuropäische Geschichte nach 1500, Geschichte der christlichen Lebensgestaltung und ihre Relevanz für die Gegenwart (Kirchengeschichte), Studium generale

Wahlpflichtmodul im Zwei-Fächer-Bachelor (Aufbaumodul); Master Europäische Geschichte, Master of Education, Kirchengeschichte

Fakultät
IV – Human- und Gesellschaftswissenschaften

Institut
Geschichte

Empfohlenes Semester
5. – 6. Bachelorsemester bzw. Master

Turnus
Wöchentlich

Anzahl Studierende
Durchschnittlich 20

KP des Moduls
6, 8 oder 9 Kreditpunkte je Modul

Prüfungsform
Präsentation mit Ausarbeitung

Kategorien
FLiF & FLiF+
Forschendes Lernen
Lehrkräftebildung
Seminar
Theologie, Geschichte und Philosophie

Kurzbeschreibung

Die Glaubensgemeinschaft der Herrnhuter ist seit den 1730er Jahren in der Mission aktiv. Sie war international verbreitet und spielte im 18. Jahrhundert besonders in Nordamerika, der Karibik, in Afrika, Russland und Grönland eine Rolle. Diese Missionare zählten damit zu einer der erfolgreichsten und einflussreichsten protestantischen Missionsanstalten in den Kolonien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Die Brüder und Schwestern der Herrnhutermission waren dabei nicht nur als Prediger aktiv, sondern pflegten einen weltweiten Informationsaustausch über Briefe und Berichte, die heute gut zugänglich sind. Darüber hinaus etablierten sie bereits im 18. Jahrhundert ein erfolgreiches globales Handelsnetzwerk. Obgleich sich die Herrnhuter allein dem Seelenheil verpflichtet sahen, waren sie doch tief in die frühneuzeitliche Kolonialgeschichte verstrickt. Ob in Grönland, Afrika oder Surinam, überall mussten die Missionare in den kolonialen Auseinandersetzungen ihren Platz finden, sei es, um politisch bestehen zu können, sei es, um mit verschiedenen Gruppen von „Heiden“ zu kommunizieren. Obgleich einer starken gemeinsamen Tradition verpflichtet, veränderten die Missionsgruppen sich stark in der Diaspora. Die Wege der Anpassung und Identitätsfindung gestalteten sich dabei je nach Missionsort höchst unterschiedlich. Ähnliches gilt für die Integration neuer Mitglieder unterschiedlicher kultureller und ethnischer Herkunft in die Gemeinschaft der Herrnhuter, deren Prozess Missionare wie Missionierte gleichermaßen veränderte. Die Missionare hinterließen im Laufe dieses Prozesses zahlreiche Quellen: Innerhalb ihres Netzwerkes zirkulierten international Briefe, Tagebücher und Missionsberichte, aber auch selbst erstellte Wörterbücher und Artefakte für die ethnografischen Sammlungen der Herrnhuter. Ziel des Seminars ist es, die Art und Weise, in welcher die Missionare mittels Wahrnehmung und Einordnung ihrer Umwelt ihren Platz in den verschiedenen Missionsorten fanden, nachzuvollziehen. Im Mittelpunkt stehen überlieferte Quellen und Artefakte der Missionare, auf deren Grundlage wissenschaftliche Vorträge entwickelt werden sollen. Neben der inhaltlichen Arbeit steht der Vortrag als Medium der Wissenschaftskommunikation im Mittelpunkt. Die Veranstaltung versteht sich als forschungsorientiert und bietet die Möglichkeit, begleitet eigene Ideen und Fragestellungen umzusetzen. Das Seminar ist als forschungsorientiertes Format auf vier SWS angelegt. Eine Kombination mit einer weiteren Veranstaltung ist nicht nötig.

Umsetzungsstufen des Forschenden Lernens

Darstellung der Umsetzungsstufen des Forschenden Lernens
Die in der Veranstaltung umgesetzten Stufen sind farbig markiert.
Dieser Link führt zur barrierefreien Beschreibung der Matrix des Forschenden Lernens.

Umsetzung des forschungsbasierten Lernens

Das Seminar wurde zu Beginn mit einer groben Fragestellung eingeleitet: ‚Missionare – Komplizen oder Querulanten imperialer Herrschaft?‘ Davon ausgehend bekam jede Seminargruppe (Gruppenstärke: zwei bis drei Personen) einen Missionsort zugeteilt und den Auftrag, sich die jeweilige Missionschronik zu besorgen (zumeist über Fernleihe möglich). Im Anschluss wurden verschiedene Theorien zur Stellung der Missionare im Kolonialgefüge gemeinsam erarbeitet (Frontiertheorien, Zivilisierungskonzepte, Cultural Broker, Zentrum-Peripherie usw.). Jeder Studierende bekam jetzt die Aufgabe, unter Nutzung der Theorien eine Fragestellung zu entwickeln, anhand derer die jeweilige Missionschronik ausgewertet wurde. Weiterführende Literatur wurde – mit etwas Hilfestellung – selbst erarbeitet. In der Regel handelte es sich jedoch um Quellen, welche unter der jeweiligen Fragestellung noch nicht wissenschaftlich ausgewertet wurden. Die Ergebnisse wurden mittels eines wissenschaftlichen Vortrages präsentiert und an die gemeinsame Fragestellung rückgebunden (etwa: ‚Finden sich in der Herrnhutermission Russlands Cultural Broker?‘ – ‚In wie weit trugen diese zu einer Stabilisierung des russischen Imperiums in Grenzräumen bei?‘ – Oder: ‚Verfolgten die Herrnhutermissionare auf Grönland eine Zivilisierungsmission?‘ – ‚Half dies, die fragile dänische Herrschaft zu stabilisieren?‘). Der Vortrag wurde anschließend unter Einbeziehung der Seminardiskussion verschriftlicht. Dieses Seminar war an die Forschung der Seminarleiterin angedockt. Das „gemeinsam Forschen“ mit Studierenden ist außerordentlich fruchtbar (auch für die eigene Arbeit) und macht Spaß. Das Arbeiten mit Missionsberichten führte dazu, dass die Studierenden sich schnell mit „ihren“ Missionaren in der jeweiligen Weltgegend (etwa Grönland, Surinam, Labrador, Russland, St. Thomas) identifizierten und sich als Expert_innen verstehen konnten. Das weitgehende Fehlen von Sekundärliteratur zur jeweiligen Thematik führte zur Übernahme von Verantwortung für den Gegenstand und zum Gefühl, tatsächlich Neues zu entdecken. Erfreulicherweise verfolgten und verfolgen bis heute viele Studierende ihr Thema weiter (Masterarbeiten, Beitrag für forschung@studium, aktuell Überlegungen einer Dissertation zum Thema). Das Seminarformat war insgesamt eher konventionell (Vorträge, wöchentlicher Rhythmus). Aktuell wird versucht, dieses Format bei einem ähnlichen Konzept etwas aufzulösen (lockerer Zeitrhythmus, Ausprobieren alternativer Präsentationsformate).

Kompetenzentwicklung der Studierenden aus Sicht der Lehrenden

  • Starke Verbesserung der forschungsmethodischen Kompetenzen.
  • Starke Verbesserung der Fachkompetenz.
  • Mittlere Verbesserung der Schlüsselkompetenzen (z.B. Analyse und Problemlösungsstrategien, Kommunikations- und Teamfähigkeit, Recherche- und Präsentationstechniken).

Bewertung und Empfehlungen

Bewährt:

  • Öffnung der eigenen Forschung
  • Arbeit mit Quellen im Zentrum
  • Arbeit mit bisher nicht oder kaum wissenschaftlich bearbeiteten Material, Studierende als Forscher ernst nehmen
  • Leitfragen zu einer gemeinsamen Fragestellung entwickeln lassen, die zudem gerade in der Forschung diskutiert werden (christliche Mission und ihre Rolle im Imperialismus)

Probleme:

  • Nutzung von PowerPoint führt dazu, Vorträge schnell zu zeitfressenden Präsentationen ausarten zu lassen – aktuell aus dem Seminar (bis auf ganz wenige Ausnahmen) verbannt, da sonst schnell ein „Kippen“ in Richtung reines Referatsseminar droht.
  • Wöchentlicher Rhythmus – enge zeitliche Taktung führt zu „ökonomischem“ Arbeiten, besser und in anderen Formaten bewährt: Veranstaltungen blocken, freie Sitzungen, 14-tägiger Rhythmus o. Ä.

Feedback der Studierenden

Positiv:

  • Theorien in den ersten Sitzungen diskutiert und Anwendungsbeispiele gegeben
  • Enge Betreuung der Gruppen in den Sprechstunden
  • Spannende Quellen, sehr spannendes Thema

Negativ:

  • Zeitnot

Besonderheiten / Sonstiges

  • Beitrag bei forschen@studium
  • Zwei Masterarbeiten, Anfragen für weitere
  • Ein Projekt mündete in einer Dissertation