Allgemeines
Lehrende*r
Teresa Sansour
Veranstaltung
Gemeinsam forscht es sich leichter – Forschungswerkstatt zu qualitativ-rekonstruktiven Verfahren in der Analyse von Daten im Kontext so genannter geistiger Behinderung
Modul
kein Modul, da fakultativ zu belegen, 1.02.907
Studiengang
Bachelor Sonderpädagogik, Master Ed. Sonderpädagogik, Master Rehabilitationspädagogik
Fakultät
Fakultät I – Bildungs- und Sozialwissenschaften
Institut
Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik
Semester
SoSe 2023
Turnus
Block
Anzahl Studierende
7
KP des Moduls
—
Prüfungsform
—
Kategorien
Bildungswissenschaften und Pädagogik
Forschendes Lernen
Sozialwissenschaften
Stud.IP
Zunehmend verfassen Studierende der Sonder- und Rehabilitationspädagogik empirische Arbeiten, in denen Schüler:innen mit einem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf geistige Entwicklung oder junge Erwachsene mit so genannter geistiger Behinderung zu Themen ihrer Lebenswelt befragt werden. Qualitativ-rekonstruktive Verfahren sind dabei für (Lehramts)Studierende hoch relevant, da auf diese Weise ein verstehender Zugang zum subjektiven Erleben, zu Deutungsmustern und Orientierungsrahmen der Befragten geschaffen werden kann.
Gleichzeitig galt der Personenkreis von Menschen mit sog. geistiger Behinderung in der Forschung lange als kaum befragbar, weil Entwicklungsbeeinträchtigungen der Betroffenen in der Regel auch den sprachlich-kommunikativen Bereich betreffen und die Interaktionsordnungen in der Gesprächssituation gegenüber Interviews mit Personen ohne Behinderung verändert sind. Wissen um notwendige Adaptionen von Erhebungs- und Auswertungsverfahren an diese spezifische Zielgruppe ist daher kaum in der einschlägigen Methodenliteratur zu finden und wird auch in den eher überblicksartig angelegten Seminaren zur Vorbereitung auf die Abschlussarbeiten kaum thematisiert.
Studierende, die sich dennoch an dieses weitgehend unbekannte Forschungsgebiet heranwagen, stehen daher relativ ‚allein‘ da, was insbesondere bei qualitativ-rekonstruktiven Auswertungsverfahren (z. B. objektiver Hermeneutik, Dokumentarischer Methode) auch ein methodologisches Problem darstellt, da die Interpretation in Forschungsgruppen ein genuines Element dieser Auswertungsverfahren darstellt.
In Zusammenarbeit mit dem Arbeitsbereich „Pädagogik bei geistiger Entwicklung“ von Prof. Dr. Niediek an der Universität Hannover wurde daher eine Forschungswerkstatt entwickelt, um Studierende in ihrem Forschungsprozess zu unterstützen sowie die Zusammenarbeit von Studierenden beider Standorte ermöglichen.
Inhalte und Lernziele / Kompetenzen
Folgende Inhalte sah die Veranstaltung vor:
- Grundlagen zu den kommunikativen Besonderheiten im Zusammenhang mit der Zielgruppe.
- Einblick in vorhandene Studien, in denen Interviews mit der Zielgruppe geführt worden sind und Überblick über Methoden zur Unterstützung der Interviewsituation.
- Überblick über die Schritte zur Erstellung von Interviewleitfäden.
- Überblick über Verfahren für die qualitativ-rekonstruktive Auswertung von Interviewdaten.
Die Veranstaltung strebte folgende Kompetenzen an:
- Die Studierenden entwickeln ein tragfähiges Forschungsdesign für ihre qualitative Studie.
- Die Studierenden entwickeln passende Instrumente für die Befragung der Zielgruppe.
- Die Studierenden erlernen die Anwendung rekonstruktiver Auswertungsmethoden und erproben diese in Interpretationsgemeinschaften.
- Die Studierenden geben sich im gegenseitig Feedback und wenden dazu Methoden der kollegialen Beratung an.
Aktivitäten der Lernenden
Die Veranstaltung sah einen Wechsel vor von Inputs (durch einen Gastreferenten sowie durch die Dozierenden) im Plenum, Phasen im Plenum, bei denen z. B. die Arbeitsstände vorgestellt werden und kollegiale Beratung stattfindet sowie Kleingruppen- und Einzelarbeitsphasen. Daneben gab es Raum für individuelle Beratungen durch die Dozierenden. Als Aktivitäten der Studierenden in der Veranstaltung waren geplant: aktives Zuhören und Fragen stellen, präsentieren, Nachfragen stellen und Feedback zu Kommiliton:innen geben, recherchieren, denken, formulieren sowie das gemeinsame Entwickeln und Austauschen von Lesarten anhand von Daten.
Prüfung und Bewertung
Eine Prüfung und Bewertung war nicht vorgesehen, da die Veranstaltung nicht in die Modulstruktur eingebunden war und somit auch keine Kreditpunkte erworben werden konnten.
Erfahrungen
Die hier beschriebenen Erfahrungen speisen sich zum einen aus den Reflexionen der Dozierenden sowie aus leitfadengestützten Interviews, welche von den Hilfskräften der Forschungswerkstatt im Anschluss mit sechs Teilnehmenden geführt wurden.
Insgesamt meldeten sich nur wenige Studierende verbindlich an, obwohl zunächst von vielen Interesse an dem Angebot bekundet wurde. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Veranstaltung außerhalb der vorgesehenen Module stattfand und somit ein „Extraaufwand“ damit verbunden wurde. Anders als von den Dozierenden gedacht, meldeten sich viele Studierende an, die ihr Thema für die Abschlussarbeit bislang nur grob umrissen hatten und sich noch nicht über ihre Fragestellung im Klaren waren. Das flexible Mitgehen mit diesen verschiedenen Arbeitsständen war für die Dozierenden herausfordernd und führte dazu, dass einige Aktivitäten nicht wie geplant stattfinden konnten. So konnte letztlich nicht wie geplant in Interpretationsgruppen gearbeitet werden, da von den Teilnehmenden noch keine Daten eingebracht werden konnten und sich Fragen zur Auswertung noch gar nicht konkret stellten. Der Fokus lag daher auf der Formulierung von Fragestellungen und dem Entwickeln passender Forschungsdesigns. Das flexible Mitgehen wurde aber von den Teilnehmenden geschätzt und die lockere Arbeitsatmosphäre, die durch die kleine Gruppe entstand, beförderte den Austausch. Eine Studentin reflektierte dies im Anschluss mit den Worten: „man brauchte nicht irgendwie Sorgen haben, was Falsches zu sagen“ (Interview E). Insgesamt wurde aus den Interviews deutlich, dass die Beratung durch die Dozentinnen sowie der Austausch innerhalb der Gruppe als äußerst gewinnbringend und fruchtbar für die Arbeit am eigenen Projekt erlebt wurde.
Forschendes Lernen
Forschung war sozusagen der Gegenstand der Veranstaltung somit Forschendes Lernen auch zentral in der Anlage der Forschungswerkstatt vorgesehen. Dazu sollte der offene und prozessorientierte Charakter der Veranstaltung beitragen. In den Interviews wird der Prozess des Forschenden Lernens mit seinen Höhen und Tiefen auch thematisiert. Ein Teilnehmender sagt dazu, dass ,,man immer im Hinterkopf haben muss, dass man jetzt nicht lernt und dann ist man fertig, sondern man muss sich halt immer wieder die jetzigen neuen Stände und die Forschung und so, immer wieder vor Augen führen‘‘ (Interview F). Eine andere Studentin berichtet: „Wir konnten ein bisschen was mitnehmen, waren danach aber auch leicht verwirrt und uns erst ein bisschen unsicher, also wir waren danach in einem kleinen, kurzen Tief und dachten ‚Mhh, shit, ergibt das alles noch Sinn?‘“ (Interview E). Gleichzeitig habe das Hinterfragen des eigenen Forschungsvorhabens dazu geführt, es weiterentwickeln und optimieren zu können. Der Fokus auf qualitativ-rekonstruktive Forschung im Zusammenhang mit der Befragung von Menschen mit sog. geistiger Behinderung hätte aber noch mehr zum Tragen kommen können, wenn tatsächlich zum zweiten Termin bereits Daten aus den studentischen Projekten vorgelegen hätten. Insgesamt wurde die Forschungswerkstatt – auch wenn sie teilweise anders als geplant gestaltet wurde – als sinnvolle Ergänzung zu den vorgesehenen Begleitseminaren erlebt.