Allgemeines

Lehrende:r
Friederike Henjes

Veranstaltung
Verschwörungstheorien – Tradierung antisemitischer Stereotype und Motive

Module
the239 – Fragen und Themen der Kirchengeschichte
the339 – Mastermodul: Kirchengeschichte
the611 – Geschichte christlicher Lebensgestaltung und ihre Relevanz für die Gegenwart (Kirchengeschichte)
the641 – Religionen im Plural (Religionswissenschaft / Jüdische Studien)
the911 – Weltreligionen im Kontext

Studiengänge
Ökumene und Religionen – Master-Studiengang
Evangelische Religion – Master of Education (Gymnasium + Erweiterungsfach, Sonderpädagogik, Wirtschaftspädagogik)
Ev. Theologie und Religionspädagogik – Zwei-Fächer-Bachelor-Studiengang

Fakultät
Fakultät IV – Human- und Gesellschafts­wissenschaften

Institut
Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik

Turnus
Wöchentlich

Anzahl Studierende
17

KP des Moduls
6 (3 KP Seminar plus 3 KP Vorlesung)

Prüfungsform
Hausarbeit

Kategorien
Forschendes Lernen
OLE+
Online-Meetings
Seminar
Stud.IP
Theologie, Geschichte und Philosophie

Inwiefern beinhalten und verbreiten Verschwörungstheorien tradierte antisemitische Stereotype und Motive? Anhand unterschiedlicher Quellen lernten die Teilnehmenden, (versteckten) Antisemitismus zu erkennen und zu deuten.

Einleitung

Verschwörungstheorien sind spätestens mit der aktuellen Coronapandemie aktueller denn je. Nicht selten enthalten Verschwörungstheorien antisemitische Stereotype und Motive oder sind gar in ihrem Kern antisemitisch. Ein Beispiel hierfür ist eine der bekanntesten Verschwörungstheorien, die unter dem Titel ‚Die Protokolle der Weisen von Zion‘ weltweit Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet wurde und wird. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass auch in Schulbüchern und im Schulalltag (versteckter) Antisemitismus und Verschwörungstheorien zum Tragen kommen und somit Lehrer*innen im Sinne der Demokratiebildung gezielt geschult und sensibilisiert werden sollten.
Das Seminar beschäftigte sich mit der Frage, was Verschwörungstheorien sind und inwiefern diese tradierte antisemitische Stereotype und Motive beinhalten und verbreiten. Anhand von biblischen Perikopen, historischen Quellen und aktuellen Vorkommnissen lernten die Teilnehmenden im Laufe des Seminars, die lange Geschichte solcher Tradierungen einzuordnen und (versteckten) Antisemitismus zu erkennen und zu deuten.
Das Seminar behandelte unterschiedliche Einheiten, die die Studierenden zunächst mit der Frage nach Antisemitismus und Verschwörungstheorien vertraut machen und für beide Themenbereiche sensibilisieren sollten. Themen wie Ausdrucksformen, Definitionen von Antisemitismus und dessen Abgrenzung zu anderen Diskriminierungsformen wurden hierbei behandelt, beurteilt und reflektiert. Ebenso wie Wirkungsmechanismen sowie Elemente von Verschwörungstheorien, um die Quellen entsprechend analysieren, einordnen und deuten zu können. Hierbei wurde der Schwerpunkt auf kirchenhistorische Aspekte gesetzt und somit die Rolle des Christentums in Bezug auf Verschwörungstheorien und Antisemitismus sowie deren Ursprung untersucht und reflektiert.
In mehreren Seminarsitzungen erhielten die Studierenden daraufhin Aufgaben, um mithilfe der historisch-kritischen Quellenanalyse historische wie aktuelle Quellen auf ihren verschwörungstheoretischen und antisemitischen Inhalt hin zu untersuchen und zu interpretieren, was sie in einem letzten Schritt selbstständig an unterschiedliche Quellen innerhalb einer Hausarbeit anwendeten. So entstanden spannende Untersuchungen zu verschwörungstheoretischen Elementen in den Schriften Luthers, in zeitgenössischer Musik, aber auch tradierte antisemitische Stereotype des Mittelalters, die in der NS-Zeit in der Propagandazeitschrift „Der Stürmer“ Eingang gefunden haben.

Darstellung des angeblichen/erfundenen Ritualmords an Simon von Trient im Jahre 1475, Michael Wohlgemuth, Holzschnitt, in: Hartmann Schedel: Die Schedelsche Weltchronik, Nürnberg 1493.

Inhalt und Lernziele – Antisemitismus wahrnehmen und entgegentreten

Grundsätzlich verfolgt das Seminar das Ziel, die Studierenden für Antisemitismus und verschwörungstheoretische Narrative im Alltag, aber auch in der Schule zu sensibilisieren, um präventiv, aber auch punktuell bei antisemitischen Vorkommnissen in der Schule eingreifen zu können. Hierfür ist es zentral, dass die angehenden (Religions-)Lehrer*innen sich gezielt mit (kirchen-)historischen Tradierungen von Antisemitismus auseinandersetzen, um in aktuellen Erscheinungsformen entsprechend handeln zu können. So wurde im Sinne der Ganzheitlichkeit der Blick auf (antisemitische) Weltanschauungen gerichtet, um sowohl ihre Bedeutung für die christlich-jüdische Beziehung und Geschichte als auch für aktuelles Aufkommen von diversen Weltanschauungen in Form von Verschwörungstheorien zu behandeln. Zentral hierbei war es (religionsbezogenes) Vorkommen von Diskriminierung in Form von Antisemitismus zu analysieren, um tradierte Muster zu durchbrechen. Nicht zuletzt setzten sich die Studierenden zudem kritisch und selbstständig mit Handlungsempfehlungen in Bezug auf Antisemitismus und Verschwörungstheorien im Unterricht auseinander, bewerten diese und sind in der Lage, diese auf Basis ihres Fachwissens für den eigenen Unterricht anzuwenden.
Somit wurde das konkrete Lernziel verfolgt, dass die Studierenden über spezielle Kenntnisse über Antisemitismus und Verschwörungstheorien verfügen, die im Kontext von Religion und Kirche stehen. Hierbei wurde darauf Wert gelegt, dass sich die Studierenden selbstständig und kritisch mit (kirchen-)historischen Quellen in Form von einer Quellenkritik auseinandersetzen.

An (kirchen-)historischen Quellen fürs Heute lernen

Da das Seminar unterschiedliche Epochen und Quellen behandelt hat und gleichzeitig zur Auseinandersetzung mit Formen von Antisemitismus anregen sollte, wurde in jeder Sitzung eine Präsentation durch die Dozentin (Informationsgrundlage) und/oder durch Impulse von Studierenden in Form von Kurzpräsentation mit anschließender Diskussionsfrage durchgeführt. Die Studierenden haben sich mittels Gruppen- und Textarbeit, Quellenkritik, Analyse von Karikaturen und Videos etc. selbstständig mit den Themenbereichen und Quellen auseinandergesetzt und haben dies in anschließenden Vorstellungen der Ergebnisse oder auch Diskussionen dargestellt. So untersuchten die Studierenden nebst den Impulsen zusätzlich innerhalb des Seminars in Kleingruppen unterschiedliche Quellen auf ihren (versteckten) Antisemitismus oder verschwörungstheoretische Inhalte und bewerteten diese in Bezug auf ihren kirchenhistorischen Kontext.
Da das Seminar aufgrund der Corona-Pandemie ausschließlich online stattfinden konnte, wurden verschiedene digitale Tools verwendet, so bspw. Plattformen zum Erstellen von Mindmaps (https://mind-map-online.de/), Wordclouds (https://www.mentimeter.com/) etc., um die Mitarbeit und Motivation der Studierenden trotz der Online-Meetings im digitalen Tool BigBlueButton aufrecht zu erhalten. Auch bei den Gruppenarbeiten der Studierenden wurden obengenannte Tools verwendet, um die Ergebnisse der Gruppenarbeiten innerhalb der Break-Out-Rooms zu sichern und für alle im Plenum sichtbar zu machen.

Beispiel Ergebnissicherung/Brainstorming zu Gruppenarbeit (Analyse und Interpretation einer Karikatur der Titelseite des ‚Stürmer‘ von 1935 in Bezug auf ihre antisemitischen Stereotype und des verschwörungstheoretischen Inhalts).

Prüfung und Bewertung – eigene quellenkritische Auseinandersetzung

Zum einen waren die Studierenden aufgefordert, jeweils einen kurzen Impuls mit geleiteter Diskussionsfrage zu übernehmen. Hierbei haben sie sich (mit Unterstützung der Dozentin) mit Materialien auseinandergesetzt und ihr „Expert*innenwissen“ an andere Studierende weitergeben können. Hierfür wurden verschiedene Themenfelder vorgegeben, allerdings die Möglichkeit der Auswahl von Quellen offengelegt. So war es den Studierenden möglich, eigenständig Quellen auszuwählen und zu bearbeiten. Diese wurden vorab in einer Sprechstunde besprochen oder auch – sofern von den Studierenden gewünscht – Quellen von der Dozentin eingegeben, sodass die Qualität des Quellenmaterials gesichert war.
Zum anderen wurde in den Gruppenarbeiten innerhalb der Sitzung auf Basis der Textgrundlage des Seminars neuerlerntes Wissen angewendet und gefestigt.
Besonders zum Tragen kam, dass die Studierenden bei ihrer quellenbasierten Hausarbeit den (kirchen-)historischen Ursprung von Antisemitismus bzw. Antijudaismus thematisieren und diesen in Bezug zu heutigen Verschwörungstheorien setzen können. Auch hierfür waren die Studierenden angehalten, ihren Themenbereich, Fragestellung sowie eine Quellenauswahl selbstständig zu treffen, allerdings wurden sie in einer verbindlichen Sprechstunde hierbei unterstützt und – sofern gewünscht – wurden (weitere) Quellen genannt, mit denen sich die Studierenden für eine Hausarbeit quellenkritisch auseinandersetzen können.

Erfahrungen

Es hat sich gezeigt und wurde von den Studierenden im Nachgang rückgemeldet, dass sie eine gewisse Sensibilität für versteckten Antisemitismus entwickelt haben, was für die Studierenden als angehende (Religions-)Lehrer*innen und im Zuge des erstarkenden Antisemitismus besonders positiv zu bewerten ist.
Besonders gewinnbringend war der epochenübergreifende Ansatz für die Analyse von Verschwörungstheorien und Antisemitismus, um heutige Verschwörungstheorien und andere Ausdrucksformen von Antisemitismus erkennen zu können. Eine Analyse eines Schulbuchs, in dem eine antisemitische Karikatur enthalten war (das Schulbuch ist seit der öffentlichen Thematisierung nicht mehr auf dem Markt und wurde bearbeitet), zeigte, dass die Studierenden den versteckten Antisemitismus innerhalb der Karikatur direkt ausmachen konnten.
Die Studierenden haben am Ende der Lehrveranstaltung rückgemeldet, dass sie sich sicherer fühlen, Antisemitismus und verschwörungstheoretische Inhalte auch im Kontext Schule (schneller) wahrzunehmen. Auch der Einsatz von zahlreichen, unterschiedlichen Quellen hat sich bewährt, um verschiedene Ausdrucksformen zu verdeutlichen.
Das Konzept des Seminars könnte m. E. insofern noch dahingehend erweitert werden, dass die Studierenden schon während des Seminars selbstständige Analysen und Forschungen durchführen, ihre Ergebnisse präsentieren und auf Basis dessen eine entsprechende Hausarbeit verfassen. Hierbei wären der gemeinsame Austausch und die Reflexion der Ergebnisse mit anderen Studierenden sicherlich nochmals ergiebiger gewesen.
Das Seminar kann auch in anderen Fächern mit ähnlichem Schwerpunkt wie bspw. Geschichte oder Philosophie/Werte und Normen eingebracht werden.