Allgemeines

Lehrende*r
Prof. Dr. Gundula Zoch

Frau mit braunen Haaren, lächelnd.

Veranstaltung
Angewandte Ungleichheitsforschung

Modul
sow650 – Wahlpflichtmodul

Studiengang
B.A. – Soziologie

Fakultät
Fakultät I – Bildungs- und Sozialwissenschaften

Institut
Institut für Sozialwissenschaften

Semester
SoSe 2022

Turnus
Wöchentlich; 4 SWS

Anzahl Studierende
10

KP des Moduls
6

Prüfungsform
Portfolio: Referat (15-30 Minuten) und schriftliche Ausarbeitung (max. 3500 Wörter)

Kategorien
Forschendes Lernen
Seminar
Sozialwissenschaften
Stud.IP

Die Frage nach Ausmaß und Ursache sozialer Ungleichheit ist in den Sozialwissenschaften von besonderer Bedeutung. Gleichzeitig gehört die quantitative Datenauswertung in den Sozialwissenschaften nicht automatisch zu den beliebtesten Lehrveranstaltungen. Viele Studierende im Fach haben sich dezidiert für ein Studium ohne Statistik entschieden und vermeiden entsprechende Wahlveranstaltungen zur angewandten empirischen Forschung. Das vorliegende Lehrkonzept für die Auswertung von quantitativen Befragungsdaten zielt darauf ab, das Lernen und die Motivation für die Studierenden über die Verknüpfung mit aktuellen Themen der sozialen Ungleichheitsforschung verbessern.

Die BA-Veranstaltung (4 SWS, 6 KP, Wahlbereich) untersucht mit Hilfe quantitativer Sekundärdatenanalysen relevante Dimensionen und Determinanten sozialer Ungleichheiten für Deutschland. In einem eigenverantwortlichen Lernprozess durchlaufen die bis zu 15 Teilnehmenden die Phasen des Forschungsprozesses, um am Ende mit grundlegenden Konzepten, Theorien und Befunden der sozialen Ungleichheit sowie der eigenständigen Datenauswertung vertraut zu sein. Auf diese Weise werden methodische und statistische Lerninhalte ohne Formeln wiederholt und am Beispiel selbstgewählter Fragestellung zur Entstehung und den Folgen sozialer Ungleichheit angewendet. Relevante Kompetenzen, insbesondere mit Blick auf wissenschaftliches und methodisches Arbeiten, werden so vertieft und gefestigt, um diese in der darauffolgenden BA-Arbeit erfolgreich anzuwenden. 

Inhalte und Lernziele

Das Lehrkonzept „Angewandte Ungleichheitsforschung“ wurde im Rahmen der Ausschreibung „Forschendes Lernen“ an der Universität Oldenburg bewilligt und im Sommersemester 2022 umgesetzt. Ziel des Moduls mit zwei Seminarsitzungen pro Woche ist es, die Studierenden zu befähigen, sich eigenständig mit wissenschaftlichen Inhalten der sozialen Ungleichheitsforschung auseinanderzusetzen. Entsprechend wurden dafür im Modul sowohl die theoretischen als auch die methodischen Grundlagen mittels des forschenden Lernens vermittelt und angewendet: Zum einen erlernen die Teilnehmenden grundlegende Konzepte, Theorien und Befunde der sozialen Ungleichheitsforschung sowie der eigenständigen Datenauswertung. Zum anderen wenden und vertiefen sie diese Kenntnisse und Kompetenzen praktisch am Beispiel der Analyse einer eigenen Fragestellung mit Hilfe eines ausgewählten Sekundärdatensatzes. Die Maßnahmen zum Forschenden Lernen entsprachen daher dem Niveau C im Grundlagenpapier „Forschungsbasiertes Lehren und Lernen an der Universität Oldenburg“.

Insgesamt werden verschiedene Kompetenzen vermittelt, die sowohl für die akademische als auch berufliche Laufbahn von großer Bedeutung sind. Dazu gehören:

Forschungskompetenz: Die Studierenden erlernen bzw. vertiefen ihre Fähigkeiten, auf Basis des theoretischen und wissenschaftlichen Forschungsstands eine geeignete Forschungsfrage zu formulieren; geeignete quantitative Methoden und Verfahren zu identifizieren, auszuwählen, auf das eigene Forschungsproblem zu übertragen und ggfls. entsprechend anzupassen; Sekundärdaten aufzubereiten und zu analysieren sowie Ergebnisse zu interpretieren und kritisch zu reflektieren.

Kritisches Denken & Problemlösungskompetenz: Die Studierenden lernen, bestehende Quellen und Befunde kritisch zu hinterfragen, zu analysieren und zu bewerten sowie Zusammenhänge für das eigene Vorhaben und die Umsetzung selbstständig herzustellen und anzuwenden. Im fortgeschrittenen Forschungsprozess lernen die Studierenden, Probleme im eigenen Forschungsansatz zu identifizieren, zu analysieren und – wenn nötig – pragmatische Lösungswege zu erarbeiten.

Kommunikationsfähigkeit: Im Verlauf des forschenden Lernens lernen die Studierenden, ihre Ergebnisse und Erkenntnisse schriftlich und mündlich klar und präzise zu formulieren und zu präsentieren. Darüber hinaus trainieren die Studierenden ihre Fähigkeiten anderen Seminarteilnehmenden konstruktives Feedback zu geben und auch in schwierigen Situationen gemeinsam Lösungswege zu erarbeiten.

Selbstständigkeit & Zeitmanagement: Im Rahmen des forschenden Lernens werden die Studierenden dazu angeleitet, eigenständig bzw. in Kleingruppen zu arbeiten und sich Problemen selbstständig zu nähern. Durch die intensive Auseinandersetzung mit einem Forschungsprojekt lernen die Studierenden, ihre Zeit effektiv zu planen und zu organisieren.

(Lern-)Aktivitäten der Studierenden

Das Seminar besteht aus fünf Phasen. In der ersten Phase erwerben die Teilnehmenden durch kurze Inputs der/des Lehrenden sowie durch geeignete Literatur vor- und nachbereitend grundlegende Kenntnisse über aktuelle Trends und relevante Erklärungsansätze in den verschiedenen Dimensionen sozialer Ungleichheit. Dabei werden auch Disparitäten, die durch gruppen- und raumbezogene Zuordnungen entstehen, wie Geschlecht, Migrationshintergrund und Wohnort, berücksichtigt. Die TN lernen durch die Präsentation des/der Lehrenden theoretische Grundlagen und aktuelle empirische Befunde aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften oder Policy Reports kennen. Zudem werden die wichtigsten Datenquellen und Methoden vorgestellt, mit denen theoretische Zusammenhänge empirisch überprüft werden können. Dabei werden sie ermutigt, bestehende Erkenntnisse inhaltlich und methodisch zu hinterfragen und aktiv in Fragestellungen zu überführen.

In der zweiten Phase setzen die Studierenden sich eigenständig mit verschiedenen wissenschaftlichen Quellen auseinander, um geeignete Fragestellungen auf Basis von selbst recherchierten Literaturquellen zu entwickeln. Die selbstgewählten Fragestellungen werden im Plenum präsentiert und gemeinsam diskutiert, um sicherzustellen, dass nur ein spezifischer Wirkungszusammenhang untersucht wird, der im Rahmen des Seminars auch zu beantworten ist. Mit Blick auf die theoriegeleiteten Hypothesen werden relevante Kontext- und Randbedingungen für die Anwendung etablierter sozialwissenschaftlicher Theorien gemeinsam diskutiert, reflektiert und deren Anwendung gemeinsam im Plenum kritisch überprüft. In der dritten Phase planen die Teilnehmenden geeignete bi- und multivariate Analysen, basierend auf den Kenntnissen aus vorherigen Einführungsveranstaltungen zu Methoden und Statistik. Dafür erhalten die Studierenden zunächst eine kurze Einführung in den ausgewählten Sekundärdatensatz. In dieser und allen folgenden Phasen haben die Teilnehmenden zudem die Möglichkeit, entweder alleine oder in Kleingruppen zu arbeiten, die ähnliche inhaltliche Fragestellungen bearbeiten. Die Kleingruppe bietet dabei gezielte Unterstützung und Feedback, um ähnliche Analysen gegebenenfalls zu erweitern oder zu vertiefen. Gleichzeitig ermöglicht die Verwendung eines einzelnen Datensatzes für die gesamte Seminargruppe, projektübergreifende Herausforderungen, z.B. bei der Datenaufbereitung/-analyse, gemeinsam zu lösen. Auf diese Weise können auch Teilnehmende in einen kollaborativen Forschungsprozess eingebunden werden, die sich gegen eine Gruppenarbeit und für eine individuelle Bearbeitung einer Forschungsfrage entschieden haben. Der Plan für die Ausweitung wird in einer kurzen Präsentation im Plenum vorgestellt und anschließend gemeinsam diskutiert und wenn möglich verbessert. Die Seminargruppe unterstützt sich gegenseitig bei der Planung und erweitert bei Bedarf ihre Kenntnisse.

In der vierten Phase findet die empirische Analyse mit dem ausgewählten Sekundärdatensatz und der Software statt. Die TN erhalten eine wiederholende Einführung in die verwendete Software und die zentralen Befehle für die Aufbereitung der Daten sowie die bi- und multivariate Analyse. Die Studierenden setzen ihre Auswertung in den gemeinsamen Sitzungen im Datenlabor oder eigenständig in Zeiten außerhalb der festgelegten Seminarzeit um. In jedem Fall werden die Teilergebnisse der eigenständigen Analysen regelmäßig zu Beginn der nächsten Sitzung besprochen und gemeinsam verbessert.

In der fünften Phase fassen die TN ihr Forschungsprojekt in einer kurzen Ausarbeitung schriftlich zusammen und präsentieren wichtigste Ergebnisse in einer Postersession. Die Befunde werden mit Blick auf Forschungsstand, Theorie und Hypothesen kritisch diskutiert. Die TN werden ermutigt, ihr Vorgehen selbstkritisch zu reflektieren und erneut weiterführende Ideen für die Untersuchung des Forschungsgegenstands zu entwickeln. Die Ausarbeitung bildet die Grundlage für die weitere Vertiefung und/oder einen weiteren wissenschaftlichen Austausch, etwa beim studentischen Soziologiekongress.

Im dargestellten Verlauf werden die Studierenden mit fachlicher Anleitung, Hilfestellung und Motivation für den Forschungsprozess fortwährend unterstützt, selbst forschend aktiv zu sein und dabei eine stets kritische Haltung zu den Ergebnissen zu wahren. Zentral dabei ist die gemeinsame Arbeit in Kleingruppen oder im Plenum, sodass die Studierenden trainieren, sich gegenseitig konstruktiv Feedback zu geben und in schwierigen Situationen kollaborativ an Lösungen zu arbeiten und sich dabei effektiv zu organisieren.

Prüfung und Bewertung

Im Seminar müssen die Studierenden ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in verschiedenen Prüfungsleistungen unter Beweis stellen. Gemäß der Modulordnung wird die Prüfungsleistung als Portfolio erbracht, welches aus einem kurzen Impulsreferat und schriftlichen Teilleistungen besteht.

Das Impulsreferat ist in Phase 1 des Seminars verortet und umfasst einen Vortrag und die Leitung der anschließenden Plenumsdiskussion. Im Vortrag stellen die Studierenden relevante theoretische Erklärungen und aktuelle empirische Befunde zu einer ausgewählten Dimension bzw. Determinante sozialer Ungleichheit vor. Das Referat sollte neben der angegebenen weiterführenden Literatur auch auf selbstrecherchierter Literatur/Quellen aufbauen. Die jeweilige Dimension bzw. Determinante sozialer Ungleichheit ist aus der Liste der jeweiligen Teilsitzungen frei wählbar und wird bei der Aufteilung der Referatsthemen festgehalten, um Dopplungen zu vermeiden und möglichst alle Themen mit studentischen Vorträgen zu bearbeiten.

Das Portfolio umfasst mehrere schriftliche Ausarbeitungen zu den Aufgaben zu einzelnen Teilsitzungen, die in Summe maximal ca. 3500 Wörter / ca. 10 Seiten ergeben sollen (je nach gewählter Aufgabe 5-6 Teilleistungen). Alle Aufgaben dienen der Vorbereitung bzw. Begleitung und Umsetzung des Forschungsprozesses. Die Studierenden können dafür aus einer Reihe von Aufgabentypen wählen und müssen nicht alle angebotenen Teilleistungen bearbeiten. Die Auswahl der Aufgabentypen beinhaltet zum einen kleinere Teilleistungen, wie z.B. die (1) Rekodierung von Variablen, (2) die Erstellung und Beschreibung von Regressionsoutputs sowie die (3) Erstellung und Beschreibung von Grafiken. Zum anderen existieren auch umfangreichere Teilleistungen, für welche die Studierenden beispielsweise eine kurze (4) Einleitung und Motivation für ihre bearbeitete Forschungsfrage schreiben oder (4) einen kurzen Theorieteil verfassen, in dem sie die verwendete soziologische Theorie kurz beschreiben, vor dem Hintergrund ihrer gewählten Forschungsfrage diskutieren sowie geeignete Hypothesen ableiten. Weitere Aufgaben umfassen die schriftliche Beschreibung des verwendeten Analysesamples und der zentralen Variablen der eigenen Analyse oder die kurze Zusammenfassung von Ergebnissen der Auswertung.

Bei der Bewertung der Prüfungsleistung spielen unter anderem die folgenden Aspekte eine zentrale Rolle:

Inhaltliche Qualität: Die Studierenden sollten ihre Referate und schriftlichen Ausarbeitungen unter Verwendung relevanter theoretischer Konzepte und aktuellen empirischen Befunden der sozialen Ungleichheitsforschung gestalten (siehe Grundlagen Phase 1) und diese in einem klaren und verständlichen Stil präsentieren. Weitere Informationen für die Kurzreferate werden dafür in einem Leitfaden mit Anforderungskatalog und unterstützenden Hinweisen bereitgestellt.

Interaktivität und aktive Teilnahme: Die Studierenden sollen ihre Referate durch interaktive Methoden und Gruppenarbeit ergänzen und somit die Möglichkeit geben, das erworbene Wissen auch aktiv anzuwenden. Eine aktive Teilnahme wird entsprechend in der Diskussionsleitung des interaktiven Teils bewertet. Obgleich eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Seminar Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme ist und die Studierenden aktiv an Diskussionen und Debatten teilnehmen sollen, wird diese Teilnahme nicht individuell bewertet.

Technische Exaktheit: Bei der praktischen Anwendung von Techniken der Rekodierungen oder Analysen im empirischen Forschungsteil sollten die Studierenden ihre Arbeit präzise und genau ausführen, dokumentieren und reflektieren. Entsprechende Techniken werden dafür in Phase drei und vier wiederholt, ggfls. vermittelt und gemeinsam angewendet.

Erfahrungen

Das Seminar hat bei den Studierenden insgesamt eine sehr positive Resonanz hervorgerufen und wurde als äußerst wertvoll empfunden. Die hohe Aktualität der behandelten Themen sowie die wissenschaftliche und gesellschaftliche Relevanz wurden dabei besonders hervorgehoben. Einige Teilnehmende haben angekündigt, ihre Abschlussarbeiten im Fachbereich zu schreiben und sehen das Seminar als gute Vorbereitung dafür.

Allerdings muss erwähnt werden, dass es eine hohe Abbruchquote gab, da der Forschungsprozess von einigen Studierenden eventuell als zu komplex empfunden wurde. Eine Möglichkeit, um die Motivation der Studierenden zu steigern und Überforderung zu vermeiden, wäre eine noch stärkere Untergliederung des Gesamtziels in kleinere Teilziele.

Eine weitere Herausforderung stellte die regelmäßige Vor- und Nachbereitung des Seminars durch die Studierenden dar. Mit jeder Teilleistung aus dem Portfolio reduzierte sich die Zahl regulärer Teilnehmenden im Seminar. Dies deutet darauf hin, dass es den Studierenden (noch) schwerfällt, die regelmäßige Vor- und Nachbereitung in ihren Alltag zu integrieren. Eventuell handelt es sich aber auch nur um einen Effekt im ersten Sommersemester nach den vergangenen Corona-Semestern. Dennoch könnten die Studierenden zukünftig durch ergänzende Hinweise zur Selbstorganisation und Zeitplanung stärker unterstützt werden. Trotzdem haben einige Studierende auch ohne Prüfungsleistung teilgenommen, was zeigt, dass das Seminar auch außerhalb des Prüfungsdrucks von großem Interesse ist.