Allgemeines

Lehrende
Dr. Franziska Meifort

Frau Dr. Franziska Meifort, uni oldenburg, buchautorin einer dahrendorf-biographie, 2/2018 an der uni oldenburg für liberal-magazin


Frederike Dienst (Tutorin)

Lächelnde Person mit hellbraunen Haaren und Brille

Veranstaltung
Archiv intensiv: Alkohol im Deutschen Kaiserreich. Trinkkulturen, Normen und Diskurse am Beispiel Bremens

Modul
ges141/142/143 – Geschichte des 19./20. Jahrhunderts
ges144 – Westeuropäische Geschichte des 19./20. Jahrhunderts
ges186/187 Profilbildung I und II

Studiengang
Zwei-Fächer-Bachelor: Geschichte
Master of Education (Gymnasium, Sonderpädagogik, Wirtschaftspädagogik): Geschichte
Fach-Master: Europäische Geschichte

Fakultät
Fakultät IV – Human- und Gesellschaftswissenschaften

Institut
Institut für Geschichte

Semester
SoSe 2022

Turnus
Block

Anzahl Studierende
7

KP des Moduls
6/9 KP (gesamtes Modul, je nach PO)

Prüfungsform
Referat mit Ausarbeitung

Kategorien
Forschendes Lernen
Lehrkräftebildung
Praxis
Projekt
Seminar
Stud.IP
Theologie, Geschichte und Philosophie

Das Seminar bot Geschichtsstudierenden die Möglichkeit, hautnah in die Welt der Originalquellen einzutauchen. Ziel war es, ihnen den Weg ins Archiv zu eröffnen und ihnen die Arbeitsweise von Historiker:innen näherzubringen. Konkret beschäftigten sich die Studierenden mit dem Thema Alkoholkonsum zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs und entwickelten eigene Forschungsfragen. Im Staatsarchiv Bremen konnten sie dann die Quellen recherchieren, auswählen und interpretieren. Durch diese selbstständige Auseinandersetzung mit den Archivbeständen konnten die Studierenden nachvollziehen, wie Erkenntnisse über die Vergangenheit gewonnen werden und wie historische Narrative entstehen.

Forschendes Lernen im Archiv

Zeichnung einer Frau im grünen Kleid mit Schleppe, fabrig zugehöriger Kopfbedeckung, einem roten Mantel mit schwarzer Krause, Halsketten und Martiniglas in der einen Hand
Karte zum Namenstag, in: Gästebuch Wagenführ, 1917, StAB 7.1156 Nr. 1

Im Zentrum der Geschichtswissenschaft steht die Auseinandersetzung mit historischen Quellen. Diesen begegnen Studierende allerdings häufig nur in Form von gedruckten Editionen. Die Arbeit mit Originalquellen kommt hingegen selten im Studium vor, denn sie sind ein zeit- und arbeitsintensiver Gegenstand, der jedoch über seine Materialität und Authentizität einen eigenen Reiz entfaltet und im besten Sinne des Wortes originelle Einsichten verspricht.

Um den Studierenden die Möglichkeit zu geben, historische Fragestellungen anhand von Archivquellen zu bearbeiten und ihnen einen Einblick in geschichtswissenschaftliche Forschungspraxis zu geben, fand dieses Seminar im Bremer Staatsarchiv statt.

Die Studierenden setzten sich intensiv mit Archivbeständen auseinander, die sich mit dem Alkoholkonsum in Bremen zur Zeit des Kaiserreichs (1871-1918) befassten. Mittels sozial- und kulturhistorischer Methoden wurden ausgewählte Phänomene des Alkoholkonsums mit Relevanz für die Gegenwart untersucht. Dafür entwickelten die Studierenden mithilfe der Themenfelder „Konsumpraktiken“, „Abstinenzbewegung“, „Produktion und Handel“, „Geschlechternormen“ und „Diskurse“ selbstständig Fragestellungen, die sie anschließend anhand der Quellen und hinzugezogener Forschungsliteratur beantworteten.

Das Seminar wurde durch Mittel des Programms „forschen@studium“ der Universität Oldenburg gefördert.

Lernziele und Kompetenzerweiterung

Die Arbeit mit Archivquellen ermöglichte den Studierenden, einen eigenständigen Forschungsprozess durchzuführen, Einblick in das archivarische Arbeiten und die Aufgaben von Archiven zu erhalten und Verständnis für das Zustandekommen von historischer Überlieferung zu entwickeln. Neben ihren geschichtswissenschaftlichen Fachkompetenzen (Sachkompetenz, Fragekompetenz, Recherche, Quellenkritik und -analyse sowie historische Darstellungs- und Urteilskompetenz) konnten die Studierenden in einer gemeinschaftlichen Arbeitsatmosphäre zudem ihre wissenschaftlichen Präsentationstechniken erweitern.

Konzeption und Ablauf des Seminars

Verschieden farbiger Pfeil, in den die Seminarphasen eingezeichnet sind
Seminarablauf, Visualisierung: Frederike Dienst

Der studentische Forschungsprozess wurde im Rahmen einer Blockveranstaltung angeleitet und bildete die Stationen des Forschenden Lernens im Sinne des kreativ-entdeckenden Selbst-Forschens ab. Dafür wurden zunächst in einer durch Lektüreaufgaben angeleiteten Selbstlernphase die fachlichen Grundlagen erarbeitet. Die Auseinandersetzung mit Einführungstexten zur Ernährungs- und Alkoholkultur in Bremen sowie den wichtigsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen im langen 19. Jahrhundert vermittelte den Studierenden das nötige Kontextwissen und ermöglichte ihnen eine erste Annäherung an das Thema. In Gruppenarbeit wurden zudem die Themengebiete „Produktion und Handel“, „Konsumpraktiken und (Geschlechter-) Normen“ sowie „Diskurs und Mäßigkeitsbewegung“ erarbeitet, die den anderen Seminarteilnehmer:innen zum Abschluss der Selbstlernphase im Rahmen der Ergebnissicherung präsentiert wurden. Auch die Inhalte der Lektüreaufgaben wurden hier aufgearbeitet und in Form eines Themenclusters von den Studierenden strukturiert, um vor Beginn der Arbeit im Archiv noch einmal die Kenntnisse über die wichtigsten epochalen und regionalspezifischen Entwicklungen und Ereignisse zu festigen.

Hand und Zuordnungskarten auf einem Tisch
Paläographie-Workshop
Student:in an einem Schreibtisch mit Archivmaterial
Archivarbeit

Der Archivarbeit wurde ein Paläographie-Workshop vorangestellt, der in das Lesen alter Handschriften (Kurrent und Sütterlin) einführte – eine wesentliche Kompetenz für die Entschlüsselung der oftmals handschriftlichen zeitgenössischen Quellen. Eine Führung durch das Staatsarchiv Bremen machte die Arbeit des Archives und das Zustandekommen der Überlieferung deutlich.

Die Studierenden konnten sich eine Woche lang intensiv in einer durch die Dozentin und die Tutorin begleiteten Recherche den Quellen im Archiv widmen. Für die anschließende Quelleninterpretation und Beantwortung der Forschungsfragen stand eine weitere Woche eigenverantwortlich genutzter Zeit zur Verfügung. In einer abschließenden Veranstaltung wurden die Forschungsergebnisse der Studierenden in Form von Referaten präsentiert, in denen eine oder mehrere digital aufbereitete Quellen vorgestellt und kontextualisiert sowie die Forschungsfragen beantwortet wurden. Großer Wert wurde auf die Reflexion des Forschungsprozesses gelegt. Diese war zu verschiedenen Stadien der Archivarbeit in mehreren Reflexionsschleifen angeleitet worden. Gegenseitiges Peer-Feedback sowie eine kriteriengeleitete Rückmeldung durch die Dozentin zum Abschluss der Referate bildete die Grundlage für die schriftliche Ausarbeitung der Prüfungsleistung.

Forschungsschwerpunkte und Ergebnisse

Erste Ideen für Forschungsfragen oder thematische Schwerpunkte entwickelten die Studierenden bereits in der Auftaktsitzung sowie in der Selbstlernphase im Zuge der Lektüreaufgaben. Als Hilfestellung wurden zu Beginn des Seminars Kriterien für gute Forschungsfragen aufgestellt. Der erste Entwurf für eine Fragestellung wurde im Anschluss an die Selbstlernphase präsentiert und mit den übrigen Seminarteilnehmer:innen besprochen. Anschließend wurde mittels eines Fragenkataloges die Konkretisierung der Fragestellung angeregt. Innerhalb des Forschungsprozesses wurden die Fragestellungen auf der Grundlage des recherchierten und ausgewählten Quellenmaterials konkretisiert und ggf. modifiziert. Bei der Bearbeitung der gewählten Themen und Fragestellungen wurden die Studierenden durch theoretisch-methodische Inputs der Dozentin unterstützt.

Aktenwagen

Aufgrund der individuellen Interessen der Studierenden ergab sich ein Schwerpunkt auf geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen. Hier wurden Gegenwartsbezüge hergestellt, beispielweise bei der Fragestellung, woher heutige Stereotype in Bezug auf alkoholtrinkende Frauen kommen. Die in diesem Zusammenhang untersuchten Quellen waren u.a. das Gästebuch eines Stammtisches von U-Boot-Offizieren im Bremer Ratskeller in den ersten zwei Jahrzenten des 20. Jahrhunderts und die Entmündigungsakte einer Trinkerin von 1915.

Einen weiteren Schwerpunkt bildeten die in Bremen besonders einflussreiche Mäßigkeitsbewegung und ihre Initiatorin Ottilie Hoffmann.

Hier zielte die Forschungsfrage auf die Maßnahmen ab, mit denen die Mäßigkeitsvereine Einfluss auf den Alkoholkonsum der Zeitgenossen zu nehmen versuchten. Anhand ausgewählter Quellen – unter anderem Schriften und Vorträge Ottilie Hoffmanns, Jahresberichte des Bremer Mäßigkeitsvereins und Aufklärungsmerkblätter – konnten die Handlungsstrategien der Mäßigkeitsbewegung nachvollzogen werden. Dazu zählten eine Vielzahl von aufklärerischen Maßnahmen, die Einrichtung alkoholfreier Gaststätten (sog. „Ottilie Hoffmann-Häuser“), aber auch die internationale Vernetzung von Ottilie Hoffmann in der Antialkohol- und der Frauenbewegung um 1900.

Resümee

Die „Forschung zum Anfassen“, wie eine Studentin das Seminar zusammenfassend beschrieb, wurde von den Studierenden als sehr positive Erfahrung wahrgenommen. Eine besondere Faszination ging von der Arbeit mit den Originalquellen, ihrer Haptik und der Entschlüsselung der alten Handschriften aus. Die im Seminar erfolgte Einführung in die Archivarbeit sowie der Paläographie-Workshop senkten die Hürden für die eigenständige Archivarbeit und bestärkten die Studierenden, auch künftig mit Archivquellen zu arbeiten. Bezüglich Konzeption und Aufbau des Seminars begrüßten die Studierenden besonders die Möglichkeit zur selbstständigen Arbeit – sei es bei der Entwicklung der Forschungsfragen anhand eigener Interessen oder bei der freien Zeiteinteilung für Lektüreaufgaben und Quellenarbeit bei gleichzeitiger individueller Unterstützung durch die Dozentin und die Tutorin. Darüber hinaus waren die Studierenden der Ansicht, dass die Arbeit im Archiv ihren Horizont in Bezug auf die Epoche der Kaiserzeit erweitern konnte. Die Beschäftigung mit Einzelschicksalen, die in den Archivbeständen sichtbar wurden, verstärkte das Bewusstsein für die in dieser Zeit handelnden, denkenden und fühlenden Akteur:innen. Besonders eindrücklich war die Erkenntnis, dass weiblicher Alkoholkonsum offenbar so stark tabuisiert war, dass er in den Quellen kaum vorkam.

Im Laufe des Seminars ergab sich ein kollegialer und anregender Austausch unter den Studierenden, die sich gegenseitig auf interessante Archivbestände hinwiesen und recherchiertes Quellenmaterial zur Verfügung stellten. Auf Stud.IP entstand eine interne Datenbank mit digitalisierten Quellen zum Seminarthema, auf die alle Teilnehmer:innen Zugriff hatten und die in der Folge auch für Abschlussarbeiten genutzt wurde. Auf diese Weise wurde eine materielle, digitale Basis eines Quellenkorpus geschaffen, der dazu dienen kann, auch künftig neue studentische Forschungsprozesse zum Thema „Alkoholkultur im Kaiserreich“ anzustoßen.