Allgemeines

Lehrende:r
Dr. Martin Esmann

Veranstaltung
Rydberg-Exzitonen in atomar dünnen Halbleitern

Modul
phy450 – Fortgeschrittenenpraktikum Physik (FPR-B/M) Versuch 16

Studiengang
Physik (Bachelor/Master)

Fakultät
Fakultät V – Mathematik und Naturwissenschaften

Institut
Institut für Physik (Arbeitsgruppe Quantenmaterialien)

Semester
seit SoSe 2022

Turnus
wöchentlich (insgesamt 3 Versuchstage pro Studierendengruppe)

Anzahl Studierende
Master: 8 (4 Zweierteams), Bachelor: 12 (6 Zweierteams)

KP des Moduls
9

Prüfungsform
Projektbericht

Kategorien
Forschendes Lernen
Mathematik und Naturwissenschaften
Praktikum

Atomar dünne Halbleiter-Schichten aus Übergangsmetall-Dichalcogeniden (TMDCs) sind neuartige Materialen mit ungewöhnlichen optischen Eigenschaften. Diese machen sie z. B. interessant für nanoskalige Laser. Die Arbeitsgruppe Quantenmaterialien (AG QMat) am Institut für Physik untersucht aktuelle Forschungsfragen an diesen Materialien. Im Rahmen des Fortgeschrittenenpraktikums Physik (Bachelor und Master) bieten wir einen dreitägigen Praktikumsversuch an, in dem Studierende in Teams von zwei bis drei Personen diese Materialien selbst herstellen und charakterisieren. Basierend auf einer Studie aus der aktuellen Fachliteratur können die Studierenden methodengetrieben an einem modularen Versuchsaufbau forschen, eigene Ideen zur Datenerfassung und -auswertung umsetzten und ihre Ergebnisse im Praktikumsseminar präsentieren.

Inhalte und Lernziele

Ein wesentliches Charakteristikum von atomar dünnen TMDCs ist der Übergang von einem indirekten zu einem direkten Halbleiter, wenn die Zahl der atomaren Schichten im Material schrittweise bis zur Einzellage reduziert wird (Abb. 1a). Die Konsequenzen dieses Effekts können mittels Photolumineszenz- und Absorptionsmessungen (Abb. 1b) nachgewiesen werden.

Abb. 1: a Schematischer Übergang von der Vielschicht zur Einzellage in einem TMDC-Kristall.
Abb. 1: b Typische Reflexionsmessung an einer Einzellage, in der verschiedene Rydberg-Exzitonen aufgelöst werden (1s-5s).

Abb. 1: a Schematischer Übergang von der Vielschicht zur Einzellage in einem TMDC-Kristall. b Typische Reflexionsmessung an einer Einzellage, in der verschiedene Rydberg-Exzitonen aufgelöst werden (1s-5s). Abbildung aus A. Chernikov et al. PRL 113, 076802 (2014).

Inhalte des Praktikumsversuchs sind:

  1. Literaturrecherche: Die Anleitung des Praktikumsversuchs umfasst neben einigen Grundlagen und generellen Hinweisen zur Umsetzung des Versuchs vor allem ein zentrales Paper aus der Originalliteratur [PRL 113, 076802 (2014)], das die Studierenden als Vorbereitung aufarbeiten. Zum vollständigen Verständnis ist eine umfassendere Literaturrecherche nötig, die auch im Versuchsprotokoll abgebildet werden soll. Diskussion über Ergebnisse der Literaturrecherche sind auch Teil der Vorbesprechung am Beginn des ersten Versuchstags.
  • Probenherstellung: Atomar dünne Halbleiter werden durch Abtrag einzelner Kristallschichten eines Übergangsmetall-Dichalcogenids (TMDC) hergestellt. Die Identifikation der Schichten geschieht unter einem spezialisierten Lichtmikroskop (Abb. 2). Die Schichten werden dann unter dem Mikroskop auf ein geeignetes Zielsubstrat aus Silizium übertragen. Der Abtrag und die Identifikation einzelner Kristallschichten sind ein zeitaufwändiger, stochastischer Prozess und stellen daher ein interessantes vieldimensionales Optimierungsproblem für die Studierenden bezüglich verschiedener experimenteller Parameter aber auch effizienter Arbeitsteilung im Team und nachvollziehbarer Dokumentation mit Notizen, Handyfotos und Mikroskopbildern dar.
  • Optische Chrarakterisierung: Die hergestellten Proben werden in einen Flüssig-Stickstoff-Kryostaten eingebracht und auf 77 Kelvin abgekühlt. Dies ist nötig, um die Verbreiterung der exzitonischen Moden durch thermische Effekte zu unterdrücken. Die optische Charakterisierung geschieht mit einem modularen Aufbau, den die Studierenden justieren und nach Bedarf modifizieren können (Abb. 3). Teil der Aufgabenstellung ist die Konzipierung der nötigen Versuchsanordnung und Teilmessungen durch die Studierenden, um mittels geeigneter Auswerteverfahren beispielsweise Abb. 1 zu reproduzieren.
  • Auswertung der erfassten Messdaten: Um die in Abb. 1 gezeigte Rydberg-Serie darzustellen, ist eine umfassende statistische Auswertung der gemessenen Reflexionsspektren mit geeigneter Normierung und Filterung nötig, da die gemessenen Signalstärken typischerweise sehr klein sind. Die Auswahl, Kombination und Umsetzung geeigneter Methoden, sowie die anschließende quantitative Diskussion der Ergebnisse ist wesentlicher Teil der Anforderungen dieses Versuchs und bildet ein zentrales Element der experimentellen Forschung im Fach Physik ab.
  • Protokollierung und Präsentation: Die recherchierten Grundlagen, gewonnenen Ergebnisse, und Methoden sollen von den Studierenden im Kontext des aktuellen Forschungsstands in ihrem Praktikumsbericht dargestellt werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf einer Beschreibung und Einordnung der gewählten Methoden zur Datenauswertung. Eine genaue Abwägung der Belastbarkeit und Aussagekraft sowie Kontextualisierung der gewonnenen Resultate führt die Studierenden an ein zentrales Element des wissenschaftlichen Publizierens heran.

Die Studierenden erweitern mit diesem Versuch ihre Fähigkeiten in der experimentellen Konzipierung, der Durchführung, Auswertung und abschließenden Protokollierung eines forschungsorientierten Experiments, das sich sehr nah am aktuellen Stand der Forschung bewegt. Sie vertiefen außerdem Kompetenzen im Umgang mit komplexen Auswerteverfahren und die Entwicklung und Bearbeitung von Forschungsfragen im Team. Im Praktikumsversuch werden damit für die Arbeit in der Forschung relevante Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen und Sozialkompetenzen vermittelt.

Abb. 2: (links) Spezialisierter Mikroskopaufbau für Identifikation und Transfer von atomar dünnen Halbleitern. (rechts oben) Abgetragene Halbleiterschichten auf haftender Unterlage. (rechts unten) Auf Zielsubstrat übertragene TMDC Einzellage.

Abb. 2: (links) Spezialisierter Mikroskopaufbau für Identifikation und Transfer von atomar dünnen Halbleitern. (rechts oben) Abgetragene Halbleiterschichten auf haftender Unterlage. (rechts unten) Auf Zielsubstrat übertragene TMDC Einzellage.

Forschendes Lernen

Zentrale Aspekte aus allen drei Phasen des forschungsbasierten Lernens auf dem Niveau des kreativ-entdeckenden Selbst-Forschens (Niveau C nach der Oldenburger Konzeption) kommen in diesem Praktikumsversuch zum Tragen:

  • Forschungsstand und Forschungsfrage: In der Vorbereitungsphase des Praktikums arbeiten die Studierenden einen Teil der aktuellen Fachliteratur zu TMDCs eigenständig auf. Aufgrund der Konzeption als relativ kurzes, dreitägiges Praktikum sind das Thema des Versuchs und der Startpunkt der Recherche notwendigerweise vorgegeben, die Erarbeitung des relevanten Kontexts und die Schärfung der sich daraus für das Praktikum ergebenden Forschungsfragen bleibt aber den Studierenden überlassen. Der aufgearbeitete Forschungsstand und in der Vorbereitung erarbeitete Grundlagen des Versuchsthemas werden zu Beginn des Praktikums im Dialog mit den Lehrenden kritisch diskutiert. Dies mündet schließlich in der eigenständigen Formulierung einer Zielsetzung und ggf. Teilhypothesen für erwartbare Ergebnisse des dreitägigen Praktikums sowie begründeten Vermutungen über Herausforderungen und erwartbare Hindernisse.
  • Anwendung der Forschungsmethode zur Ermittlung eines Forschungsergebnisses: Der Versuchsaufbau ist modular gestaltet (s. Abb. 3), sodass die Studierenden hier eigene Ideen umsetzen und selbst unter Anleitung methodengetrieben forschen können, indem sie notwendige experimentelle Anordnungen zur Erfassung benötigter Messdaten selbst konzipieren. Selbes gilt für die Probenpräparation, in der alle nötigen Materialien zur Verfügung stehen. Die bestmögliche Methode, effizient atomar dünne Halbleiter herzustellen, ist aber Gegenstand aktueller Forschung, auch hier können auf Grundlage des aktuellen Forschungsstand eigene Teilfragen auf Basis begründeter Arbeitshypothesen beantwortet werden. Auswahl, Kombination und Umsetzung geeigneter Methoden zur Datenanalyse sind wesentlicher Teil der Anforderungen dieses Versuchs und sollen von den Studierenden eigenständig erarbeitet werden.
  • Präsentation von Forschungsergebnissen: Die Studierenden präsentieren die Ergebnisse des Praktikums in einem schriftlichen Abschlussbericht. Wesentliche Anforderungen an den Bericht sind die Einbettung in den sich aus der Literaturrecherche ergebenden relevanten Kontext und die Darstellung der Verzahnung von Forschungsfrage, darauf aufbauender Methodenwahl, experimentellem Befund, und eine kritische Auseinandersetzung mit der Belastbarkeit und Aussagekraft der gewonnenen Resultate. Damit gelingt eine Annäherung an zentrale Elemente des wissenschaftlichen Publizierens. Die Studierenden können ihre Ergebnisse außerdem im Rahmen eines begleitenden Seminars vorstellen.
Abb. 3: Modularer optischer Versuchsaufbau für Reflexionsmessungen bei tiefen Temperaturen.

Abb. 3: Modularer optischer Versuchsaufbau für Reflexionsmessungen bei tiefen Temperaturen.

Prüfung und Bewertung

Grundlage der Bewertung sind der schriftliche Praktikumsbericht und das Vorgespräch am ersten Versuchstag. Das Hauptaugenmerk bei der Bewertung des Berichts liegt zunächst auf der fachlich sauberen Dokumentation des Versuchs und seiner Ergebnisse. Zentrale Bedeutung haben aber auch die reflektierte Diskussion und Kontextualisierung der gewonnenen Ergebnisse. Dazu gehören die Aufarbeitung der Fachliteratur, die kritische Auseinandersetzung mit den im Forschungsprozess getroffenen Entscheidungen hinsichtlich Methodenwahl, Umgang mit Abweichungen der Ergebnisse von der Erwartungshaltung und mögliche Verbesserungsvorschläge für weiterführende Untersuchungen.

Erfahrungen

  • Das Feedback der Studierenden in den Nachbesprechungen des Praktikums war sehr positiv. Besonders oft wurde hervorgehoben, dass der forschungsbetonte Charakter des Praktikums und die eigenständige Erarbeitung von Methoden zur Probenherstellung, Datenerfassung und -auswertung sehr motivierend wirken.
  • In der Vorbereitungsphase waren alle Studierenden sehr gewissenhaft und haben häufig schon im Vorgespräch gezeigt, dass sie sich weit über das geforderte Maß in die Thematik der TMDCs eingearbeitet haben und direkt kreative eigene Fragestellungen in das Gespräch eingebracht. Unsere Erfahrung ist bisher, dass sich das Einfordern eines hohen Maßes an Selbstständigkeit und selbstverantwortlicher Planung im Praktikum positiv auf den fachlichen und methodischen Kompetenzerwerb der Studierenden auswirkt.
  • In den Praktikumsberichten haben die Studierenden eine große Bandbreite an innovativen Methoden der Datenauswertung entwickelt und angewendet. Die Auswahl eines anspruchsvollen forschungsnahen Experiments, bei dem die gewünschten experimentellen Signale häufig nur mit viel Mühe aus den Messdaten zu extrahieren sind, fördert die Problemlösekompetenz der Studierenden. Damit soll aber auch dafür sensibilisiert werden, dass eine wenig klare Datenlage eine entsprechend kritische und ausgewogene Diskussion und Einordung benötigen. Die angefertigten Berichte zeigen, dass diese Sensibilisierung gut gelingt.
  • Geplante Verbesserungen betreffen vor allem die Hardware des Experiments. Durch geeignete Erweiterungen des modularen Versuchsaufbaus wollen wir gewährleisten, dass den Studierenden eine größere Bandbreite an Möglichkeiten zur eigenständigen Entwicklung und Bearbeitung von Forschungsfragen zur Verfügung steht. Aktuell ist die Ausgestaltung des Versuchsthemas durch die vorhandenen Aufbauten begrenzt. Mit nur drei Versuchstagen kann das Praktikum dennoch weite Teile des Forschungszyklus bereits gut abbilden.